Heimatliebe

Heimatliebe

15. Oktober 2022 0 Von anna

 Kaum ein Tag verging, an dem Larissa nicht darüber nachdachte, ob es ein Fehler wäre. Vielleicht sogar einer ihrer größten. Sie wollte gehen und würde all jene zurücklassen, die sie über so viele Jahre hinweg begleitet und unterstützt hatten. So vielen Menschen musste sie dankbar sein und das war sie auch. Aber nun war es an der Zeit zurückzukehren. Zurück in die so verhasste Heimat, die sie dennoch nie vergessen konnte.

 Und Marcel? Er konnte nicht mit. Er sollte nicht mit. Er gehörte nicht zu ihrer Heimat und ihrem früheren Leben. Er war der erste Mensch, den sie bei ihrer Ankunft in Paris kennengelernt hatte. Bei ihm war sie gestrandet. Er hatte sie aufgenommen, als sie ohne Bleibe war. Als sie nur Treibholz war. Dies hatte ihn für einige Jahre zu ihrem sicheren Hafen gemacht. Er unterstützte sie beim Aufbau ihres eigenen Ladens. Liebte sie täglich bedingungslos. Aber ein Heimatgefühl kam nie auf. Etwas fehlte. Oder jemand?

 „Ich weiß einfach nicht, wohin mit mir. Ich spüre mich nicht. Es ist fast so, als hätte ich die Verbindung zu mir selbst verloren. Es klingt so absurd, aber ich glaube fast vergessen zu haben, wer ich eigentlich bin“, vertraute sie sich ihrer Freundin Adeline an.

 Adeline war gerade 40 geworden und hatte sich von ihrem Freund getrennt. Was allerdings nichts bedeuten musste, da sich Adeline und Marco ständig trennten. Sie verließ ihn. Er verließ sie. Sie kam zurück. Er kam zurück. Die beiden kamen trotz aller Schwierigkeiten nicht voneinander los.

Rückblick

 Adeline und Larissa hatten sich vor Jahren in genau solch einer Trennungszeit in einem Pariser Café kennengelernt. Larissa blätterte gelangweilt in einer Modezeitschrift, um sich die Zeit zu vertreiben, bis Marcel mit der Arbeit fertig war, als eine junge Frau am Nebentisch mit dem Messer immer wieder auf ein Croissant einstach. Während sie dies tat, murmelte sie unverständlich vor sich hin. Doch der Ton ihrer Stimme ließ Larissa ahnen, dass es keine netten Worte waren.

 Eine ganze Weile versuchte Larissa, das Treiben am Nebentisch zu ignorieren, doch schließlich hielt sie es nicht mehr aus und drehte sich um.

 „Ich denke, das Croissant hat jetzt genug. Es zuckt ja schon nicht mehr“, scherzte Larissa und lächelte.

 Verdutzt blickte Adeline auf und die beiden Frauen sahen sich still an. Es war ein zauberhafter Moment, in dem das Universum wohl zwei Seelen vereinte, die einander helfen und ergänzen sollten. Zumindest kam es einem so vor. Ab diesem Moment gab es kein Geheimnis, kein Erlebnis und keinen Traum, den sich die beiden Frauen nicht anvertrauten. Jeder noch so schmutzige Gedanke wurde geteilt. Jedes noch so verrückte Vorhaben gemeinsam geplant.

 Aus Larissa und Marcel wurden Larissa, Adeline, Marco und Marcel. Die Vier taten sich gut. Die Häufigkeit der Auszeiten von Adeline und Marco nahm deutlich ab. Die Wirkung der Viererkonstellation auf die Beziehung von Larissa und Marcel war dagegen weniger offensichtlich. Adeline wurde im Laufe der Jahre zu einer wirklich wichtigen Vertrauten für Larissa. Endlich konnte Larissa auch über Dinge sprechen, die nichts für Marcel waren. Geheime Wünsche und Sehnsüchte. Adeline hörte zu und verstand.

 Doch dauerhaft half das bloße Reden über unerfüllte Wünsche und verborgene Sehnsüchte auch nicht.

 Zurück in der Gegenwart

 „Adeline, bitte hilf mir. Sag doch was“, bettelte Larissa.

 „Ich kann dich gut verstehen“, antwortete Adeline.

 „Aber?“, fragte Larissa und fühlte, wie sich ihr der Hals zuschnürte. Sie ahnte, was Adeline nun sagen würde.

 „Helfen kann ich dir nicht, Süße. Das kannst du nur selbst. Ich fürchte, wir sind an eine Grenze gestoßen, an der wir uns nicht noch mehr zu geben haben.“

 „Adeline, was sagst du denn da? Das hört sich an, als würdest du mit mir Schluss machen wollen.“

 Adeline musste lachen.

 „Ach Süße, das würde ich niemals. Du bist auf ewig mein Lieblingsmensch. Aber sieh mal“, Adeline griff nach Larissas Hand und umschloss sie mit beiden Händen „ich fühle mich doch ganz ähnlich. Schon immer eigentlich. Aber ich bin schwach.“

 „Auf keinen Fall bist du das. Ich kenne keine stärkere Frau als dich“, fiel Larissa ihr ins Wort.

„Süße, ich schon. Aber lass mich ausreden, bitte“, lächelte Adeline. Larissa nickte und biss sich vor Spannung auf die Lippen.

„Seit Jahren will ich von Marco weg, weil es in mir brodelt. Mein Verlangen nach mehr ist groß, aber die Angst vor Veränderung ist größer. Ich schaffe es nie, alles hinter mir zu lassen. Jedes Mal lässt mich der Mut im Stich. Aber du, du kannst es schaffen. Du bist voller Energie, hast solch eine Stärke in dir. Folge deiner Sehnsucht und lass zurück, was dich aufhält.“

Larissa sah ihre Freundin an und musste lächeln, obwohl sie traurig war.

„Du bist phänomenal, Adeline.“

„Das gefällt mir“, antwortete Adeline „und wenn du dich wieder ganz gefunden hast, dann kommst du mich holen und hilfst mir. Einverstanden?“

„Einverstanden.“

Larissa tat, was Adeline ihr geraten hatte. Sie ließ liegen, was sie aufhielt. Sie packte ihre Koffer. Alles Flehen und Betteln von Marcel nützte nichts. Larissa wollte und musste gehen.

„Marcel, bitte. Ich kann nicht anders. Ich gehöre hier nicht mehr her“, sagte sie.

„Nach Paris oder zu mir?“, fragte Marcel. Seine Augen sprühten vor Wut. Der Ärger über Larissas Entscheidung überdeckte die tiefe Trauer, die er empfand.

Immer wieder hatte er sich bemüht, Larissa alles recht zu machen. Sich bemüht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen und sich jede Kritik zu Herzen genommen. Wie oft hatte er versucht, sein Verhalten zu ändern, an dem sich Larissa immer wieder gestört hatte. Seine schlechten Angewohnheiten, wie sie es nannte, abzulegen. So hatte er aufgegeben, zu Rauchen. Für sie. Hatte aufgegeben, Bier zu trinken, stattdessen nur noch Wein. Für sie. Weil sie den Geruch von Bier nicht ertrug. Sogar von seinem geliebten Vollbart hatte er sich getrennt. Für sie, weil er ihr so kratzte. Und nun ließ sie ihn im Stich. Nach all den Jahren.

„Nach Paris und zu dir. Es tut mir leid, wenn es dich verletzt.“

„Wenn?“

„Dass es dich verletzt. Ich kann einfach nicht anders. So, wie es jetzt in mir aussieht und wie ich mich fühle, werde ich nie die Frau für dich sein, die du brauchst.“

Marcel sah Larissa schweigend an und steckte die Hände in die Hosentaschen. Auch eine dieser Angewohnheiten, die sie verachtete.

„Und wenn du ehrlich bist, dann weißt du das auch.“

 Langsam ging Marcel auf Larissa zu, nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er war traurig, so unendlich traurig, dass er nicht mehr wütend sein konnte. Obgleich er tatsächlich wusste, dass sie recht hatte, behielt er die Hoffnung auf ein Wiedersehen.

„Dann geh und finde dich. Vielleicht finden wir uns dann auch wieder“, sagte er und ließ sie gehen.

 In Deutschland

 Viel zu viel Zeit war vergangen, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Sich den letzten Kuss gegeben hatten, um einander nicht allzu schnell zu vergessen.

 Larissa wurde heiß und kalt als sie an Marcel dachte. „Was er wohl gerade machte?“, fragte sie sich.

 Zärtlich strich sie sich mit dem Daumen über ihre Lippen und dachte daran, wie sich seine Küsse angefühlt hatten. Wild und zart zugleich. Sehnsucht machte sich in ihr breit. Aber es fühlte sich anders an, als das Verlangen in ihre Heimat zurückzukehren. Eben jenes Verlangen, dass sie erst dazu getrieben hatte, Marcel nach all den Jahren zu verlassen.

 Seufzend blickte sie sich um. Es war dunkel im Haus, obwohl draußen die Sonne fast senkrecht am Himmel stand. Das Gebäude war kaum wiederzuerkennen. Früher, als sie noch ein Kind gewesen war, wirkte alles so riesig und es war immer laut gewesen. Aber jetzt? Alles war so klein. Trostlos. Still. So unfassbar still, dass sie ihren eigenen Herzschlag hören konnte.

 „Ich bin Zuhause“, sagte Larissa leise „ich bin endlich Zuhause.“

 Auf eine irrwitzige Art und Weise fühlte sie eine innige Verbundenheit mit diesem Ort. Mit diesen alten knarrenden Holzdielen. Mit diesen völlig verstaubten Fenstern. Langsam ging sie durch den großen Raum, der einst das Wohnzimmer gewesen war. Das Holz ächzte altersschwach unter ihren Füßen. Am Ende des Raumes führte eine Treppe ins Obergeschoss. Hinter einer weißen Holztür begann ihr Reich. Hier hatte sie ihre Kindheit verbracht. Hier hatte sie als Teenager gelebt. Von hier war sie mit 18 Jahren geflohen.

Larissa schloss die weiße Tür wieder zu, ging die Treppe hinunter und hinaus bis vor das Haus.

 „Ich ziehe das jetzt durch“, sagte sie entschlossen zu sich selbst, „jetzt oder nie.“

 „Was ziehen Sie durch?“, fragte eine unfreundliche Stimme hinter einer Hecke.

 Larissa drehte sich um und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Geblendet von der hellen Sonne, konnte sie nur die groben Umrisse einer vermutlich männlichen Gestalt erkennen, die hinter der Hecke hervortrat. Die tiefe raue Stimme meldete sich erneut: „Was wollen Sie hier durchziehen?“

 Larissa gab nur einen murrenden Ton von sich, drehte sich empört weg und ging langsam in Richtung Auto. Sie musste jetzt erst einmal hier weg und etwas allein sein.

 „Hey“, rief die Stimme lauter hinter ihr her. „Macht man das so, da wo Sie herkommen? Einfach abhauen, wenn jemand etwas fragt? Hier läuft das anders.“

 Erstarrt blieb Larissa stehen und blickte zu Boden.

 „Das reicht jetzt“, schrie sie „reden Sie vernünftig mit mir oder halten Sie gefälligst den Mund. Das hier geht Sie absolut überhaupt nichts an und wenn Sie mich noch weiter belästigen, rufe ich die Polizei.“

 Der Mann kam langsam näher. Zwei Meter vor Larissa blieb er stehen und musterte sie mit zweifelndem Blick. Larissa zog wütend die Augenbrauen zusammen und holte zu einer weiteren verbalen Attacke aus, als der junge Mann anfing zu lachen.

 „Ach, so ist das“, sagte er und lachte immer lauter. Seine weißen Zähne blitzten dabei wie fein säuberlich aufgefädelte Perlen.

 Larissa sah ihn voller Skepsis an. „Was soll das bitte heißen?“

 „Sie haben Glück, dass hier in der Gegend Fremden auch geantwortet wird. Noch dazu, wenn es sich um so eine hübsche Fremde handelt.“

 Larissa sah das zwar sehr freche aber doch irgendwie anziehende Grinsen des Mannes. Sie ärgerte sich über diese Unverschämtheit und wollte erwidern, dass sie überhaupt keine Fremde war, doch kamen ihr diese Worte nicht schnell genug über die Lippen.

 „Ich vermute, Sie interessieren sich für diese Bruchbude?“, fragte der Mann mit einem sehr arroganten Unterton.

 Doch darauf fiel Larissa nicht herein. Diese Art der Provokation hatte sie in Frankreich immer und immer wieder ertragen müssen und letztlich eine Strategie dazu entwickelt. Schließlich gab es überhaupt keinen Grund, diesem fremden Typen auch nur das kleinste Detail ihrer Geschichte zu erzählen, geschweige denn, sich für irgendetwas zu rechtfertigen.

 „Hören Sie mir mal gut zu, Herr… wie auch immer Sie heißen. Es ist mir egal, wer Sie sind oder was Ihre Aufgabe hier ist. Sie verschwenden meine Zeit“, sagte Larissa mit dem höchsten Maß an Selbstsicherheit in ihrer Stimme, das sie aufbringen konnte. Es war ihr Elternhaus. Sie hatte jedes Recht hier zu sein. Entschlossen drehte sie sich erneut zum Gehen um.

 „Warten Sie doch mal. Sie haben das in den falschen Hals bekommen“, rief der Mann hinter ihr her und klang plötzlich sogar freundlicher. „Es tut mir leid. Sie sind offensichtlich nicht eine dieser Großstadttussis, die nur auf das Grundstück scharf sind.“

 „Ach, bin ich nicht? Was macht Sie da so sicher?“, fragte Larissa noch immer selbstsicher und blieb stehen.

 „Ihr Blick, als ich das Haus ‚Bruchbude‘ genannt habe.“

 Larissa blickte schweigend in zwei dunkelbraune Augen, die sie erwartungsvoll ansahen. Sie schwieg, aber wandte ihren Blick nicht ab. Irgendetwas Vertrautes fand sie in diesem Blick.

 „Ich bin Simon. Simon Matteo. Ich lebe schon immer hier, darum liegt mir sehr viel an diesem Ort und auch an diesem Haus.“

 Larissa erschrak. Kreidebleich lief sie zu ihrem Auto, stieg ein und flüchtete. Erst als sie außer Sichtweite war, hielt sie an und erlaubte sich wieder zu denken.

 „Simon?“, fragte sie entsetzt ins Leere. Das konnte doch nicht sein. Warum um Gottes willen traf sie denn ausgerechnet auf Simon. Nach all den Jahren kam sie zurück und er war die erste Person, der sie begegnete. Das war zu viel für sie. Larissa fuhr weiter und stoppte bei einem Motel, ungefähr 15 Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt. Als sie endlich allein in einem der Zimmer saß, kam sie etwas zur Ruhe und hatte Zeit zum Nachdenken.

 „Ob er mich erkannt hat?“, fragte sie sich selbst „nein, sicher nicht. Sonst hätte er doch anders reagiert. Aber wieso liegt ihm mein Haus am Herzen?“

 Mehr als zehn Jahre waren Simon und Larissa Nachbarn gewesen. Wenn man das überhaupt so nennen konnte. Denn das Dorf, in dem Larissa aufgewachsen war, bestand gerade einmal aus vier Familien. Simon hatte zwar am nächsten von ihr gewohnt, aber selbst das waren immer noch fünf Kilometer gewesen, wenn sie sich besuchen wollten. Und sie hatten sich oft besucht. Sie hatten sich vom ersten Tag an gemocht. Er hatte ihr oft geholfen, wenn sie wieder einmal Ärger hatte. Ärger mit ihren Eltern. Larissa war nicht ganz das Kind, dass sich ihre Eltern erhofft hatten. Grundsätzlich hätte ihr Vater lieber einen Sohn, einen Stammhalter, gehabt. Ihre Mutter hatte sie geliebt, aber dennoch hatte immer etwas zwischen ihnen gestanden.

 Bei Larissas Geburt hatte es Komplikationen gegeben, die letztlich dazu geführt hatten, dass ihrer Mutter die Gebärmutter samt Eierstöcken entfernt werden mussten. Diesen Verlust hatte Larissas Mutter nie ganz überwunden und ihre Tochter vermutlich dafür verantwortlich gemacht, dass sie ihrem Mann keinen Sohn mehr schenken konnte.

 Die Ehe von Larissas Eltern bröckelte immer mehr. Es kam wie es kommen musste. Der Vater sah sich immer öfter nach anderen Frauen um, betrog und belog seine Familie. Dass sein Name aussterben würde, war die Katastrophe für ihn. Als Larissa dann eines Tages ganz harmlos und mitfühlend vorschlug, sie könne doch bei einer Heirat ihren Namen behalten und ihre Kinder ebenso, kam es zum Bruch. Ihr Vater war völlig ausgeflippt. Ob sie denn den Verstand verloren hätte. Welcher ehrenhafte Mann sie mit einer solchen Einstellung denn überhaupt heiraten wollen würde. Dies sei ja noch eine viel größere Schande als eine Frau, die keine Kinder gebären könnte.

 Drei Tage danach hatte sich Larissas Mutter das Leben genommen. Im Dachstuhl des Hauses hatte sie sich erhängt, um sich von ihrem Leiden zu erlösen. Es war Larissa, die ihre Mutter an einem wunderschönen Sonntagmorgen baumelnd am Dachbalken gefunden hatte. Am nächsten Tag war Larissa fortgegangen und wollte niemals wieder zurückkehren.

 Doch nun war sie wieder da. Ihr Vater war vergangenen Winter gestorben. Sie hatten kein Wort mehr miteinander gesprochen. Larissa verspürte Erleichterung, als sie die Nachricht bekam. Aber der Brief riss auch alte Wunden auf. Sie hatte sich immer gesagt, dass sie sich schuldig fühlen sollte. Aber sie tat es nicht. Die kaputte Ehe ihrer Eltern. Der Tod ihrer Mutter. Sie konnte nichts dafür.

 „Es ist nicht deine Schuld“, hatte Simon immer wieder zu ihr gesagt. Es sei nur ein kosmischer Zufall, dass sie die Erstgeborene war.

 Ja, es war Simon, der ihr immer wieder Halt gegeben hatte. Ihr gut zugeredet hatte, wenn sie am Ende war. Doch nach dem Suizid ihrer Mutter, bestand für Larissa die ganze Welt nur noch aus Lügen. Sie floh nach Frankreich. Dort war sie dann auf Marcel getroffen, dem sie nie etwas von ihrer Vergangenheit erzählen wollte. Er akzeptierte das. Und deshalb funktionierte die Beziehung. Adeline erfuhr nur ausgewählte Details. Die ganze Wahrheit kannte nur Simon. Und genau diesen Menschen hatte Larissa völlig aus ihrem Gedächtnis verbannt.

 Verloren lag sie auf dem Bett im Zimmer des Motels. Sie musste mit Simon reden. Er war der einzige, der ihrem Plan im Wege stand. Ihrem Plan, das Haus wiederherzurichten. Es zu einem wunderschönen Zuhause zu gestalten, wie sie es sich so oft gewünscht hatte. Larissa wollte verhindern, dass sich die Geschichte wiederholte. Sie wollte den Fluch, der auf ihrer Familie lag, brechen. Immer wieder hatte ihre Mutter davon gesprochen, sie seien verflucht, sie würden bestraft werden. Larissa glaubte es eine Zeit lang auch, doch sie gab sich damit nicht zufrieden. In Frankreich hatte sie gesehen, was alles möglich war. Allein Adeline hatte sich von einer Halbwaise aus ärmlichen Verhältnissen zu einer begehrten Beraterin in Sachen Mode und Lifestyle entwickelt. Immer gezeichnet von ihren Erlebnissen. Beziehungsgestört. Aber überlebensfähig.

 Larissa zog sich an und griff nach ihrem Autoschlüssel, der auf dem Nachtschränkchen gleich neben dem Bett lag. Gerade als sie das Zimmer verlassen wollte, klopfte es an der Tür.

 „Larissa? Bist du da?“, fragte eine männliche Stimme, „ich bin es, Simon. Bitte mach auf.“

 Langsam öffnete Larissa die Tür und sofort stürmte Simon herein.

 „Es tu mir so leid. Ich habe dich nicht gleich erkannt. Seit du verschwunden bist, warte ich darauf, dass du zurückkommst. Als dein Vater letztes Jahr gestorben ist, dachte ich, es wäre endlich soweit. Aber du kamst nicht. Auch nicht zur Beerdigung. Deshalb habe ich auf das Haus aufgepasst. Damit du es sein kannst, die entscheidet, was daraus wird. Ich habe alle vertrieben, die es sich unter den Nagel reißen wollten.“

 „Sei doch endlich mal ruhig“, unterbrach ihn Larissa. „Ich weiß das sehr zu schätzen und ich möchte dir dafür danken.“

 „Das musst du nicht. Ich habe es auch für mich getan, weil ich die Hoffnung hatte, dass du irgendwann auch zu mir zurückkommst.“

 „Und hoffst du das noch?“

 „Ja, tue ich.“

 „Du gehörst für mich zu diesem Ort. Euch beide hatte ich tief in meinem Innern vergraben, aber nun seid ihr beide wieder da.“ Larissa machte eine Pause und nahm Simons Hand. „Es ist völlig egal, was gewesen ist. Denn es ist vorbei und nicht mehr zu ändern. Was zählt, ist das, was noch kommt. Und das kann ich sehr wohl gestalten und genau das habe ich auch vor. Willst du mir helfen?“ Sehnsüchtig blickt Larissa ihre alte Liebe an.

 „Und ob ich das will“, antwortete Simon, „darauf habe ich so lange gewartet.“

 „Ich bin Zuhause“, seufzte Larissa.

 „Wir sind Zuhause“, sagte Simon.

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