
Brauchen Journalisten eine Haltung? – Der Kampf um die Seele einer Nachwuchsjournalistin
Sie galt als vielversprechendes Talent. Ein aufgehender Stern am Journalisten-Himmel. „Wenn sie es richtig macht, macht sie Karriere“, sagt der Chef. „Bleib neugierig“, rät ein Kollege. „Und immer schön Haltung bewahren.“ Haltung. Da war es wieder dieses Wort, dass die junge Frau seit geraumer Zeit nicht mehr aus dem Kopf bekam. Ihr schlaflose Nächte bereitet. „Brauchen Journalisten eine Haltung?“, fragte sie ihre Kollegen. Allgemeines Achselzucken. Die Antworten fielen nichtssagend aus: „Schadet sicher nicht, unabhängig zu sein.“ Und: „Wird doch überschätzt.“ Oder: „Journalisten sind doch auch nur Menschen mit einer eigenen Meinung.“
„Brauchen Journalisten nun eine Haltung oder nicht?“, fragte sie noch einmal nach. „Wer weiß das schon.“
„Dann bekomme ich das jetzt raus“, dachte sich die junge Journalistin. Neugierig und routiniert ging sie ans Werk. Während ihrer Recherche traf sie auf zwei Widersacher, deren Spiel so alt ist wie die Welt. Plötzlich fand sie sich wieder im Spiel zwischen Gut und Böse. Zwischen Gott und Teufel, die seit Jahrtausenden um die Seelen der Menschen streiten.
„Journalisten sind anstrengend“, meint der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde. „Sie müssen alles immer ganz genau wissen. Können nicht einfach mal etwas glauben. Aber ich liebe alle meine Geschöpfe.“
„Ich mag Journalisten“, grinst der Teufel frech herüber und kratzt sich zwischen den Hörnern am Kopf. „Gibst du ihnen eine heiße Story, kennen sie kein Halten mehr. Keine Grenzen. Keine Tabus.“
„Aber sie ist noch jung. Steht erst am Anfang. So lass uns spielen. Der Preis, ist ihre Seele“, erklärt Gottvater und sendet seinen fähigsten Boten aus.
„Möge der bessere Teufel gewinnen“, lacht der Pferdefuß und nimmt die Sache lieber selbst in die Hand.
Umgeben von einer gelben Wolke erscheint er auf der rechten Schulter der jungen Frau. Der plötzliche Schwefelgeruch bringt sie zum Husten. Der Versucher flüstert ihr betörend ins Ohr: „Wer braucht schon eine Haltung, da holst du dir doch nur blaue Flecken. Mach dir das Leben doch nicht so schwer.“
„Hör nicht auf ihn“, fällt ihm ein Engel Gottes ins Wort. Begleitet vom Geruch der Freiheit nimmt er zur Linken Platz. Und es klingt nach einem Halleluja als er zu ihr sagt: „Bedenke die Vorzüge eines reinen Gewissens.“
„Papperlapapp“, kreischt es von rechts zurück. „Eine Hand wäscht die andere. Sorgst du bei den richtigen Leuten für gute Presse, machst du Karriere. Ich könnte dir sogar mit einigen Adressen aushelfen. Na?“
„Gefälligkeitsjournalismus ist doch was für Ja-Sager“, erwidert der göttliche Bote.
Die Diskussion hat so richtig Fahrt aufgenommen, doch die junge Frau ist längst gegangen. Hat Engel und Teufel ihrer hitzigen Auseinandersetzung überlassen. Recherche abgeschlossen. Genug Material für einen Bericht. Sie sitzt am Schreibtisch und tippt eifrig auf die Tastatur ihres Computers. Leserfreundlich stellt sie die Aussagen der Widersacher gegenüber. Ohne Wertung. Ohne Kommentar.